Grosi, darf ich dich besuchen?
Barbara Stucki

Das Foto habe ich im Winter vor dem Zuhause meiner Grossmutter gemacht. Ein Schnappschuss der Aussicht, die ich zu jeder Jahreszeit geniesse und zu dem Zeitpunkt schon länger nicht mehr gesehen hatte. Genau wie meine Grossmutter. Da ich bedingt durch meine Arbeit immer wieder mit verschiedenen Menschen im Kontakt war und auch mehrmals wegen COVID-Verdacht zum Test musste, habe ich mich während mehrere Monate nicht getraut, meine über 80-jährige Grossmutter zu besuchen. Wir haben telefoniert oder auch mal ein SMS geschrieben. Trotzdem fehlte uns beiden der Kontakt. Telefonieren ist nicht dasselbe, wie gemeinsam in der Stube sitzen und "Zvieri näh". Wie einschneidend das Social Distancing und Einfrieren des Vereinslebens für meine Grossmutter war, hat sie mir erzählt. Auch im Verein, in dem ich aktiv bin, gibt es zahlreiche Mitglieder, die zur Risikogruppe zähl(t)en. Wir haben 1x die Woche eine Skype-Plauderrunde organisiert, damit unsere Vereinsmitglieder im Austausch bleiben konnten. Die Jass-Gruppen haben teilweise online miteinander zu spielen begonnen. Die Not machte uns erfinderisch. Trotzdem war das Social Distancing auch für unsere Ü65-Vereinsmitglieder sehr belastend und in den Plauderrunden oftmals das Hauptthema. Insbesondere für die, die - wie meine Grossmutter oder auch ich - alleine leben. Als gesellige, aber alleinlebende Person habe ich stark mit diesen Personen mitgefühlt, die teilweise während mehreren Monaten kaum mehr Menschen treffen konnten. Wer alleine lebte, musste oft alleine sein. Dies mitten in einer noch nie dagewesenen Situation. Ich bin froh, können wir uns heute besser gegen das Coronavirus schützen, so dass wir hoffentlich nie wieder für so lange Zeit auf persönliche Kontakte untereinander verzichten müssen. Denn auch wenn die Anrufe, Online-Plauderrunden, virtuellen Spiele und Einkaufs-Dienste geschätzt wurden: Sie konnten den Menschen in den Risikogruppen das schöne Gefühl eines Familienbesuchs oder von Aktivitäten mit Freunden oder in Vereinen nicht ersetzen.